Gleichstellung von Frauen mit Behinderung

Interview mit Olga Manfredi, Co-Autorin der Studie Gleichstellung von Frauen mit Behinderung in Bildung und Erwerb.

Olga Manfredi und Helen Zimmermann haben im Frühjahr 2016 die Studie über die aktuelle Situation von Frauen mit Behinderung in Bildung und Erwerb veröffentlicht. Mehrfachdiskriminierung von Frauen mit Behinderung im Bildungs- und Erwerbsbereich ist bis heute in der Schweiz wenig erforscht. Die Autorinnen legen mit ihrem Forschungsbeitrag einen wichtigen Grundstein zum bisher kaum geführten Diskurs um die Gleichstellung von Frauen mit Behinderung in Bildung und Erwerb.

socialdesign führte ein Interview mit Olga Manfredi über die Ideen und Empfehlungen ihrer Studie sowie wo sie mit socialdesign in Kontakt getreten ist.

Wie ist die Idee zu Ihrer Studie entstanden?
Die Idee zu dieser Studie entstand in der Sozialpolitischen Kommission von avanti donne. Der Tochter eines Mitglieds, welche leicht kognitiv beeinträchtigt war, empfahl die IV eine Haushaltsausbildung zu machen. Dabei wurden die Fragen aufgeworfen, ob es die einzige, adäquate Ausbildung ist, welche die Tochter absolvieren kann. Und ob eine Frau mit Behinderung wirklich nur einen Frauenberuf wählen darf.
Vor zehn Jahren war diese Frage in der Schweiz gänzlich unerforscht. In Deutschland gab es vereinzelte Untersuchungen, insbesondere eine Sammlung von Interviews, auf welche zurückgegriffen werden konnte. Zu dieser Zeit hatte ich zusammen mit Helen Zimmermann, Katharina Hürlimann-Siebke und Beatrice Luginbühl, alles vier Akademikerinnen mit Behinderung, das Projekt in die Wege geleitet. Unter der Trägerschaft von avanti donne wurde beim EBGB ein Projekt eingereicht, welches sich in drei Module einteilte. Mit Abschluss des Moduls I (Grundlagenarbeit) zogen sich Katharina Hürlimann und Beatrice Luginbühl aus dem Projekt zurück. Helen Zimmermann und ich beschlossen, die Studie zu zweit weiterzuführen und konnten Sie dieses Frühjahr erfolgreich abschliessen.

Wo sind Sie bei der Erstellung auf Herausforderungen gestossen?
Eine erste grosse Herausforderung stellte sicherlich die Eingrenzung des Themas dar. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, generell zu bleiben und uns nicht auf wenig einzelne Behinderungen zu konzentrieren. Bei der Erforschung des Themas ist natürlich herausgekommen, dass es Unterschiede bei den Behinderungen gibt. Zudem haben wir uns bewusst auf die sozialwissenschaftliche und rechtliche Ebene konzentriert.
Die zweite grosse Herausforderung war, die geeignete Form der Zusammenarbeit zu viert in der Projektgruppe zu finden sowie den Projektablauf mit der Trägerschaft sowie dem EBGB den Anforderungen entsprechend zu koordinieren.
Eine weitere Herausforderung war sicherlich auch, das Projekt neben den beruflichen Verpflichtungen effizient durchführen zu können.

Welche Empfehlungen können Sie aufgrund Ihrer Studie geben?
In unserem Buch finden sich einerseits Fragestellungen, welche in der Praxis eine Hilfestellung leisten sollen. Andererseits empfehlen wir allgemeine Massnahmen und konkrete Handlungsansätze. Diese herausgearbeiteten Massnahmen und Fragestellungen richten sich an Schlüsselpersonen, dies kann beispielsweise die Familie sein, aber auch alle involvierten Stellen, wie die IV-Stellen, die Versicherungen oder Bildungsanbieter.
Generell kann gesagt werden, dass viel mehr geforscht werden muss. In der ganzen Genderfrage wurde zwar die Entlohnung und die ausserfamiliären Strukturen untersucht. Jedoch wurde das Thema Behinderung und Frau praktisch komplett ausser Acht gelassen. Unser Buch soll dafür ein Anstoss sein. Es ist wichtig, dass in der Erforschung des Themas betroffene Frauen miteinbezogen werden, aber auch selber forschen und die Ergebnisse nach aussen tragen. Hier muss auch angeknüpft werden, damit ein Wissenstransfer stattfinden kann. Der breiten Öffentlichkeit fehlt das Wissen, woher sie Informationen darüber erhalten können. Ein gutes Beispiel ist oft das Bauen von neuen Gebäuden. Es geht hier, ohne böse Absicht, oft vergessen, dass alle Personen Zugang zum Gebäude haben müssen. Genau bei solchen Ereignissen zeigt sich, dass das Bewusstsein fehlt. Mit unserem Buch wollen wir unter anderem diese Bewusstseinsbildung stärken. Diese Bewusstseinsbildung ist auch in der UNO-Konvention BRK enthalten, auf diese stützen wir uns auch bei unseren Empfehlungen. Natürlich geht die Bewusstseinsbildung viel weiter als nur in den Bau-Vorhaben. Wir haben festgestellt, dass es besonders in den Bereichen Bildung und Erwerb sehr wichtig ist, dass Frauen mit Behinderung eine Vorbildfunktion wahrnehmen. So erfahren die betroffenen Personen, dass es bereits jemand vor ihnen geschafft hat und dies stärkt auch ihr Selbstvertrauen. Eine Stärkung des Selbstvertrauens erachten wir als sehr wichtig. In den Interviews stellten wir immer wieder fest, dass das fehlende Selbstvertrauen viel verhindert.
Ein weiterer wichtiger Punkt, auf welchen wir auch in unseren Empfehlungen eingehen, ist die Rehabilitation. Dies betrifft einerseits die medizinische Rehabilitation, hier fehlt den Personen das Wissen, wie sie versicherungsrechtlich abgedeckt sind und auf was sie Anspruch haben. Andererseits müssen auch alle Dienstleistungen daraufhin geprüft werden, ob Frauen mit Behinderung einen gleichberechtigen Zugang zu diesen Leistungen haben und die Schulung mit Hilfsmitteln muss gewährleistet sein.
Im Buch haben wir die sechs Grundsätze von Gender-Mainstreaming der Bundesverwaltung mit den Grundsätzen ergänzt, welche aus der Sicht von Frauen mit Behinderung essenziell sind. Hier werden verschiedene Faktoren, wie beispielsweise die Sozialisierung, der kulturelle und religiöse Hintergrund sowie der Migrationshintergrund aufgegriffen.

Sie haben einen Projektmanagementkurs absolviert, der von socialdesign durchgeführt wurde. Was konnten Sie davon mitnehmen?
Ich empfand den Kurs als sehr interessant und lehrreich. Viele Dinge waren neu für mich und bei anderen konnte ich mein Wissen vertiefen. Während des Kurses lernte ich auch neue Instrumente und Tools kennen, welche mir vorher noch nicht bekannt waren. Beispielsweise konnte ich auch von der Schulung von diversen Ablagesystemen profitieren, da mir das bis anhin noch unbekannt war. Zudem war es sehr interessant sich mit den anderen Teilnehmenden auszutauschen und zu sehen, wie diese ihre Projekte angehen und wo sie auf Herausforderungen stossen.

Welches sind Ihre nächsten Herausforderungen und Projekte?
Bis Ende Jahren finden noch diverse Referate zur Studie und dieser Thematik statt. Wir möchten das Thema gerne in der Öffentlichkeit bekannter machen, um so die Menschen sensibilisieren zu können.

Referate

  • Am Montag 5. September bei den Juristinnen Schweiz um 19.15 Uhr im Hotel Kreuz in Bern
  • Am 24. Oktober 2016 bei den demokratischen Juristen Zürich um 18.30 Uhr an der Strassburgstrasse 5 in Zürich
  • Am 20. Oktober 2016 an der Hochschule Genf, HeS.SO, Sans obstacle: Légalité de chance pour les étudiantes en situation de handicap, von 17.00 – 20.00 Uhr am HEG Campus, Rue de la Tambourine 17, 1227 Carouge

Wir bedanken uns bei Olga Manfredi für das interessante Gespräch!