Ungehindert behindert musizieren

Interview mit Babette Wackernagel Batcho, Inhaberin Musik trotz allem

Musik trotz allem bietet allen Kindern und Jugendlichen mit und ohne Beeinträchtigung nach einer musikalischen Abklärung und einem Erstgespräch eine Palette an Musiziermöglichkeiten, die ihren Stärken, Fähigkeiten und Ressourcen entspricht.

Wie ist „Musik trotz allem“ entstanden? Was ist die Idee dahinter und was sind die Ziele?
Nach dem Studium trat ich als Lehrerin in der Musikschule Liestal eine Stelle an. Damals konnten innovative Ideen beim Vorgesetzten eingereicht werden. Vor etwa zehn Jahren habe ich meine Vision vom musikalischen Unterrichten für behinderte Kinder und Jugendliche eingereicht. Diese Ideen wurden an den Strategietagen diskutiert. Meine Idee fand Anklang und wurde angenommen, um sie später zu vertiefen.
Zu einem späteren Zeitpunkt war eine Mutter auf der Suche nach Musikunterricht für ihren behinderten Sohn. Über Umwege gelangte sie an mich, weil ich damals diese Idee eingebracht hatte. Die Räumlichkeiten der Schule in Liestal wurden mir für das Unterrichten des Jungens zur Verfügung gestellt, damit startete der erste Unterricht. Es war ein Quartal voller Schlüsselerlebnisse. Es wurde schnell klar, dass die Idee ein gewisses Potential und Interesse mit sich bringt. Auch intern zeigte sich schnell, dass ein grosser Teil des Kollegiums an der Zusammenarbeit mit Kindern und Jugendlichen mit Behinderung interessiert war.
Ich absolvierte den theoretischen Teil des E-Profils zur Kauffrau, um auch die administrativen Herausforderungen, welche eine Organisation mit sich bringt, zu meistern. In einem ersten Schritt habe ich ein Büro gemietet und einen behinderten Mitarbeiter angestellt. Zusammen haben wir evaluiert und geprüft, wie die Idee in der breiten Masse ankommt. Schnell haben wir bemerkt, dass die Idee mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen wird. Dies hat mich in meiner Idee zusätzlich bestärkt.
Mir war von Anfang an klar, dass sich mit der Idee nicht das grosse Geld verdienen lässt. Aber mir war es von Beginn an wichtiger, dass ich etwas bewegen kann; dies begleitet mich bis heute.
Im Januar 2010 habe ich mich mit einer Einzelfirma selbstständig gemacht. Im April 2010 fand der eigentliche Markteintritt, mit einem Tag der offenen Tür statt. Zu Beginn hatten wir weniger Schüler als erwartet. Jedoch gab es viel mehr Personen, welche sich in der Freiwilligenarbeit betätigen oder spenden wollten, als wir angenommen haben. Deshalb habe ich mich entschieden einen Förderverein zu gründen, da eine Einzelfirma ja Schenkungssteuer bezahlen muss.
Im November 2010 habe ich mit einer Hand voll Freiwilligen den Förderverein gegründet, welcher heute aus vier Vorstandsmitgliedern besteht. Der Förderverein hat den Zweck Kinder und Jugendliche mit Schulgeld zu unterstützen. Zudem stellt der Förderverein auch Instrumente zur Verfügung und unterstützt Projekte, welche ähnliche Ziele wie der Verein haben.
Die Nachfrage ist in den vergangenen Monaten stark gewachsen. Es war interessant anzusehen, wie viel Zeit es braucht, bis sich ein Angebot etabliert. Die stark gestiegene Nachfrage ist sicherlich das Resultat von gezielter Öffentlichkeitsarbeit und der Mta-Zytig.

Welches sind die Dienstleistungen und Angebote von Musik trotz allem?
Musik trotz allem bietet musikalische Grundkurse an. Das Ziel dieser Grundkurse ist es, den Teilnehmern einen positiven Zugang zur Musik zu ermöglichen. Des Weiteren bieten wir auch Instrumentalunterricht an. Momentan kann bei uns das Musizieren mit der Trompete oder dem Schlagzeug erlernt werden. Wir passen dieses Angebot aber auf die Bedürfnisse unserer Schüler an. Die Schule steht jungen Menschen im Alter zwischen 7 bis 25 Jahren offen.
Die Schüler haben zudem die Möglichkeit Mitglied in unserer Mta-Band zu werden. Am Donnerstag, 19. Mai 2016 dürfen wir beispielsweise die Delegiertenkonferenz der sozialen Unternehmen beider Basel mit einem Auftritt eröffnen. Am Mittwoch, 1. Juni 2016 dürfen wir auch an der 45-Jahresfeier der Werkstube Aesch auftreten.

Welche Erfahrungen haben Sie bis heute gesammelt?
In den vergangenen Jahren habe ich sehr viel gelernt und profitiere insbesondere von den vielen guten Begegnungen. Diese können mit keinem Geld von dieser Welt gekauft werden. Mein Freundes- und Bekanntenkreis hat sich enorm erweitert durch die Arbeit. Zudem höre ich immer wieder, dass Musik trotz allem einen Nerv der Zeit getroffen hat. In der Schweiz ist Musik trotz allem womöglich der grösste Anbieter, aber es gibt sehr viele Einzelinitiativen. Leider fehlt hier noch die Vernetzung beziehungsweise fehlt auch das Wissen, wer wo alles noch so ein Angebot hat.

Mit welchem Anliegen haben Sie sich an socialdesign gewendet?
Bei socialdesign profitiert Musik trotz allem von einem Rundum-Package. Dies können sehr kleine Anliegen und Fragestellungen sein oder hingegen riesen Themen, wie beispielsweise die Thematik der Finanzierung. Unsere Anfragen betreffen alles, was die Bandbreite des Unternehmertums mit sich bringt. Zudem durchläuft eine Organisation ja immer wieder Umwandlungsprozesse, auch hier ziehen wir socialdesign, wo nötig, zu Rate.

Welches sind Ihre nächsten Herausforderungen und Projekte?
Momentan befasse ich mich mit einer Kollegin, welche Gebärdendolmetscherin ist, mit einem Projekt zur Chancengleichheit der musikalischen Bildung, welche sowohl gehörlosen und behinderten Personen offen steht. Landesweit sollte die Frage gestellt werden, wie die Musikpädagogik chancengleich organisiert werden kann, ob neben Menschen mit Behinderung nicht auch noch Menschen mit Migrationshintergrund sowie Menschen im 3. und 4. Lebensabschnitt potentielle Kundensegmente sein könnten.
Die Angebote von Musik trotz allem wollen wir in Zukunft noch besser promoten und dementsprechend ein Fundraising aufziehen. Des Weiteren stellen wir uns auch vor, dass der musikalische Grundkurs auch an anderen Schulen angeboten werden kann. Wir wollen uns in nächster Zeit auf den Bildungsraum Nordwestschweiz konzentrieren, aber würden das Projekt natürlich auch gerne in anderen Regionen etablieren.

Wir danken Frau Wackernagel Batcho für das interessante Gespräch!