Unter Fürsorgerischer Unterbringung (FU) wird die Einweisung einer Person in eine geeignete Einrichtung zur Behandlung oder Betreuung sowie die Zurückbehaltung von freiwillig in eine Klinik eingetretenen Personen verstanden (Art. 426 – 439 ZGB). Die Anordnung einer FU ist an Voraussetzungen geknüpft, z.B. dass eine Selbst- oder Fremdgefährdung vorliegen muss. Eine FU darf erst angewendet werden, wenn mildere Massnahmen ausscheiden. Doch wie wird die FU in der Schweiz umgesetzt? Wie ist der Zusammenhang zwischen dem wahrgenommenen Zwang und dem Informationsstand bei nicht freiwillig eingewiesenen Personen? Zwei Studien unter unserer Mitarbeit geben Auskunft.
Im Jahr 2013 wurde in der Schweiz das Kinder- und Erwachsenenschutzgesetz (KESR) eingeführt. Es hatte zum Ziel, eine Vereinheitlichung der Vorgehensweisen im Zusammenhang mit der FU herbeizuführen sowie die Autonomie der Betroffenen zu stärken. Trotz der Gesetzesrevision gibt es in der Schweiz starke kantonale Unterschiede bezüglich der FU-Raten und der Raten für bewegungseinschränkende Massnahmen und Behandlungen ohne Zustimmung. Dies zeigt auch eine grössere Evaluation der Bestimmungen der FU, die unter unserer Leitung in Kooperation mit der Psychiatrie Baselland, der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK), dem Centre hospitalier universitaire vaudois (CHUV), den Psychiatrischen Diensten Graubünden (PDGR) sowie der Clinica psichiatrica cantonale Ticino und im Auftrag des Bundesamtes für Justiz durchgeführt wurde. Die im Rahmen der Evaluation erhobenen Daten wurden zudem in zwei Forschungsstudien genauer und vertieft beleuchtet. Die Studienergebnisse wurden unlängst veröffentlicht und im Folgenden zusammenfassend vorgestellt.
Kantonale Unterschiede (Jäger et al., 2023)
Diese Studie untersuchte die soziodemografischen und klinischen Charakteristika von Personen, welche in den fünf teilnehmenden psychiatrischen Kliniken aus den Kantonen BL, GR, TI, VD, ZH mit unterschiedlichen Strukturen per FU untergebracht waren. Sie verglich diese Charakteristika mit Merkmalen von Personen, die freiwillig hospitalisiert waren. Insgesamt flossen Daten von 57’000 Fällen von 33’000 Patient:innen in die Studie mit ein.
Es zeigte sich, dass es zwischen den verschiedenen Regionen, in welchen die Studie durchgeführt wurde, Unterschiede gab bezüglich der Unterbringungsraten, Aufenthaltsdauer, Quoten weiterer Zwangsmassnahmen sowie der soziodemographischen und klinischen Charakteristika. Das heisst, in den fünf Kantonen sind heterogene Strukturmerkmale und Unterschiede der kantonsspezifischen Umsetzung festzustellen. Zur Erinnerung: Das KESR verfolgt eine Vereinheitlichung der Vorgehenspraxis. Diese ist gemäss Studie noch nicht erreicht. Gleichzeitig sind Faktoren zu berücksichtigen, welche die FU Raten mitbestimmen können, beispielsweise die Anzahl Psychiater:innen, welche eine FU anordnen können. Weitere Erklärungen finden sich in der Diskussion der Studie.
Zusammenhang von Zwang und Information (Hotzy et al., 2023)
Diese Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen Zwang und Information. Unfreiwillige Einweisungen in psychiatrische Kliniken, wie es bei den FU der Fall ist, sind umstritten. Denn sie greifen in die Autonomie der Menschen ein. Gleichwohl sind sie manchmal unvermeidbar. Die Studie untersuchte, inwiefern das Wissen über die Einweisung mit dem empfundenen Zwang zusammenhängt.
Die Studie ergab einerseits, dass Personen, welche aus ihrer Sicht weniger Informationen über die FU erhalten hatten, auch ein höheres Zwangsempfinden aufwiesen. Es gab keine Unterschiede bezüglich des wahrgenommenen Zwangs zwischen den fünf Kliniken (BL, GR, TI, VD, ZH). Es zeigte sich zudem, dass sich nur etwa die Hälfte der Patient:innen gut über die FU informiert fühlte und etwa ein Viertel die erhaltenen Informationen als schwer verständlich empfand.
Vor dem Hintergrund, dass Patient:innen, die per FU eingewiesen werden, gemäss Schweizerischem Gesetz über das Verfahren informiert werden müssen, zeigt die Studie, dass die Informationen verständlicher sein müssen. Durch eine bessere Information könnte der wahrgenommene Zwang verringert werden. Dies ist insbesondere auch wichtig, weil Zwang oftmals die negative Einstellung gegenüber der Psychiatrie schürt und dazu führt, dass die Psychiatrie gemieden wird.