Jubiläumsinterview Konzept Peer-Beratung

 

 

 

 

 

von links nach rechts: Angelika Sonderegger, Florian Benz, Donato Lorusso, Uwe Pfennig, Gunter Tschofen

Zu unserem Jubiläumsjahr (15 Jahre socialdesign) führen wir Interviews mit Personen durch, welche die Produkte und Dienstleistungen, die socialdesign mit und für Kund:innen erarbeitet, schlussendlich auch in ihrem Alltag nutzen. Mit dieser Serie möchten wir unseren Leser:innen Einblick geben in unsere konkrete Zusammenarbeit mit Kund:innen und aufzeigen was diese aus der Nutzer:innenperspektive bedeutet.

Dieses Interview handelt von der gemeinsamen Erarbeitung eines Konzeptes zum Thema Peer-Beratung von und für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung/Lernbehinderungen. Interviewt wurden Donato Lorusso, Florian Benz, Gunter Tschofen und Uwe Pfennig vom Verein mensch-zuerst und Angelika Sonderegger, Mitarbeiterin im Amt für Soziales, Abteilung Behinderung des Kantons St. Gallen. Das Interview ist in einfacher Sprache verfasst.


Wo arbeiten Sie und was ist Ihre Funktion?

Donato Lorusso: Ich arbeite beim Verein mensch-zuerst. Meine Aufgaben sind: Weiterbildungen mitbegleiten, Peerberatung machen. Und ich bin seit sieben Jahren im Vorstand.

Gunther Tschofen: Auch ich bin seit sieben Jahren bei mensch-zuerst im Vorstand. Meine Aufgaben umfassen unter anderem die konzeptionelle Entwicklung unserer Angebote.

Uwe Pfennig: Ich bin seit zwei Jahren bei mensch-zuerst im Vorstand. Die UN-Behindertenrechtskonvention ist bei meiner Arbeit ein wichtiges Thema. Ich mache Peer-Beratung und Schulungen und gebe Weiterbildungen in verschiedenen Institutionen und Heimen. Ab August geht es wieder richtig los. Ich freue mich darauf, die nächsten Jahre hier weiter zu arbeiten.

Florian Benz: Ich bin seit der Gründung bei mensch-zuerst dabei und arbeite zu 40 Prozent hier. Ich werde auch Peer-Beratung anbieten. Wir alle haben übrigens die Peer-Berater-Ausbildung im Jahr 2017 abgeschlossen.

Angelika Sonderegger: Ich arbeite als Fachmitarbeiterin auf dem Amt für Soziales, Kanton St. Gallen. Ich begleite Projekte. Unter anderem im Rahmen der kantonalen Behindertenpolitik.

Können Sie kurz umreissen, in welchem Zusammenhang Sie mit socialdesign zusammengearbeitet haben?

Angelika Sonderegger: Die Zusammenarbeit fand im Rahmen der Entwicklung eines Konzepts zur Umsetzung der Peer-Beratung statt. Es war ein Auftrag unseres Amtes. Peer-Beratung heisst, Betroffene beraten Betroffene. Erfahrungswissen von Betroffenen soll dabei als wichtige Ressource erkannt und genutzt werden. Der Kanton unterstützt den Aufbau der Peer-Beratung für Menschen mit Lernschwierigkeiten und kognitiven Beeinträchtigungen im Kantonsgebiet.

Donato Lorusso: Wir wollten die Finanzierung für die Peer-Beratung organisieren und haben den Kanton dafür angefragt. Jetzt arbeiten wir mit socialdesign und dem Kanton zusammen.

Gunther Tschofen: Wir stellten fest: Der Bedarf an Peer-Beratung wächst. Daher haben wir das Amt für Soziales angefragt, neben unserer Peer-Weiterbildung auch den Auf- und Ausbau der Peer-Beratung zu unterstützen. Wir sind dabei auf Neugier und Wohlwollen gestossen. Nun brauchten wir ein gutes Konzept. Da der Kanton schon oft mit euch zusammengearbeitet hat, kam socialdesign ins Spiel. Ein solches Konzept haben wir nun mit euch und dem Kanton gemeinsam erarbeitet.

Können Sie noch etwas näher erzählen, worum es im Projekt rund um die Erarbeitung des Konzepts Peer-Beratung genau ging und wo dieses heute steht?

Angelika Sonderegger: Peer-Beratung ist momentan vorwiegend im Sucht- und Psychiatriebereich bekannt und anerkannt. Aus dem umliegenden Ausland stammen nun aber auch erste positive Erfahrungen mit Peer-Beratung für Menschen mit Lernschwierigkeiten und kognitiven Beeinträchtigungen.

Vorabklärungen zeigten, dass es gegenüber dieser Beratungsform noch viele Vorbehalte gibt. Wie kann ein Mensch mit einer Behinderung denn jemanden beraten? Wie lernen sie das Beraten? Wie muss das Setting ausgestaltet sein, damit es nicht zu Überforderungen kommt? Die vielen kritischen Fragen aus dem Feld zeigten, dass hier ein sehr sorgfältiges Vorgehen angezeigt ist.

Um diese Angebotslücke umsichtig und sorgfältig anzugehen, entschloss sich der Kanton für die professionelle Begleitung durch socialdesign. So konnte umfassend recherchiert werden. Bereits vorhandene Erkenntnisse konnten einbezogen werden. Schlussendlich entstand in Zusammenarbeit mit dem Verein mensch-zuerst ein Konzept, das direkt umsetzbar ist. socialdesign wird die Peer-Beratung anschliessend auswerten.

Gunther Tschofen: Ein Meilenstein der Konzepterarbeitung war ein Workshop, bei dem alle Beteiligten zusammenkamen. Während des Workshops ging socialdesign auf unsere Bedürfnisse ein. Ihr habt auf einfache Sprache übersetzt und euch auf unser Team eingelassen. Wichtig ist es aus unserer Sicht nun auch, dass das Konzept auf einfache Sprache übersetzt wird. Und dass unser Angebot bekannter wird. Dies ist eine spannende neue Herausforderung für uns: mensch-zuerst ist unabhängig vom institutionellen Rahmen. Wir wissen wo unsere Stärken liegen und wollen diese nun weiterentwickeln. Letztendlich erhoffen wir uns vom Konzept, dass auch andere Kantone Peer-Beratung unterstützen. Das Konzept erlaubt uns, prozess- und personenorientiert und nicht zielorientiert zu arbeiten.

Florian Benz: Wir möchten kein Betrieb im zweiten Arbeitsmarkt sein. Wenn wir hier beim Verein mensch-zuerst angestellt sind, haben wir eine richtige Arbeit und sind viel freier, können auch viel mehr mitreden.

In diesem Projekt haben verschiedene Menschen mitgearbeitet. Was war für Sie besonders positiv in dieser Zusammenarbeit? War etwas schwierig?

Uwe Pfennig: Ich finde die Zusammenarbeit mit dem Kanton super. Aus unserer Sicht dauerte es eher lange, bis so ein Konzept entstanden ist und wir mit unserer Arbeit beginnen konnten. Ich finde aber, dass die Zusammenarbeit eine Win-Win Situation ist, denn wir arbeiten auf Augenhöhe zusammen. Es ist wichtig, dass man das gemeinsam kann. Das war von Anfang an möglich.

Gunther Tschofen: Was für uns toll war: Mit Angelika hatten wir eine Ansprechperson und es hat Spass gemacht, mit ihr zusammenzuarbeiten. Die Sitzungen auch im grösseren Kreis waren sehr wohlwollend. Und ja, sie hat uns immer wieder darauf hingewiesen, dass so ein Prozess Zeit braucht und gewisse Mühlen langsamer mahlen als andere. Gestern kam dann die Beitragsverfügung bei uns an und wir können nun mit der Arbeit beginnen.

Wir haben im Team bei mensch-zuerst die Ideen entwickelt und der Kanton und socialdesign haben dies zu einem Konzept verarbeitet. Die Arbeit von socialdesign brachte das Fleisch an den Knochen. Wir haben bei mensch-zuerst nicht mit allen jede Seite des Konzeptes angeschaut, aber wenn es Schwierigkeiten gab, konnten wir diese gut aushandeln.

Für uns sind vor allem die Netzwerke im Kanton oder was in Deutschland und Österreich passiert wichtig. socialdesign bringt da einen erweiterten Blickwinkel und ein grösseres Netzwerk mit. So ergänzten wir uns gut. Was sehr unterstützend war: Alle konnten ihr Wissen einbringen, das war auch dem Kanton von Anfang an wichtig. socialdesign bringt viel fachliches aber auch praktisches Wissen mit, so wurde das Konzept eine sehr abgerundete Sache.

Donato Lorusso: Ich kann mich Gunther anschliessen, es war eine sehr gute Zusammenarbeit. Was man verbessern könnte: Das Konzept hätte von Anfang an in leichter Sprache geschrieben werden können. Dies könnte socialdesign eine Prise mehr Kundenorientierung geben, wenn ihr gleichzeitig auch die Übersetzung in einfache Sprache anbieten würdet.

Uwe Pfennig: Ja genau, so können es Leuten auch selbst lesen und nicht nur vorgelesen bekommen. Leichte Sprache oder einfache Sprache, beides ist für mich gut und wichtig.

Gunther Tschofen: Die Frage stellt sich hierbei: Wo grenzen wir jemanden aus? Brechen wir so ein Konzept so weit runter, dass es für gewisse Leute fast zu simpel wirkt? Wie kann man fachliche Dokumente so schreiben, dass sie alle verstehen? Schön wäre es aus unserer Sicht, wenn die Fachpersonen vermehrt zu einer Sprache finden würden, die alle verstehen.

Angelika Sonderegger: Die Zusammenarbeit mit dem Verein mensch-zuerst war sehr konstruktiv und hat grosse Freude gemacht! Die Zusammenarbeit mit socialdesign empfand ich in jeder Hinsicht als professionell, strukturierend und immer sehr angenehm und zuverlässig.

Was möchten Sie socialdesign für die nächsten 15 Jahre mit auf den Weg geben?

Donato Lorusso: Es wäre toll, wenn socialdesign möglichst alles in einfache Sprache übersetzen würde. Und dass wir die gute Zusammenarbeit weiterhin behalten.

Uwe Pfennig: Was ich euch wünsche? Dass ihr bekannter werdet! Und dass ihr weiterhin an den schwierigen Themen dranbleibt. Ihr könntet so sein wie wir: hartnäckig!

Gunther Tschofen: Ich wünsche socialdesign viel Kraft, Gesundheit, Demut und Achtsamkeit. Dass neben dem zielorientierten Handeln das prozessorientierte Handeln weiterhin viel Platz hat, denn ohne Prozess geht nichts! Und ich wünsche socialdesign, dass ihr euch genügend Zeit nehmen könnt, wenn ihr mit unterschiedlichen Menschen zusammenarbeitet. Denn es gibt keine Zeit, es gibt nur Priorität!

Angelika Sonderegger: Ich wünsche socialdesign, dass sie auch in Zukunft viele spannende Projekte begleiten können. Professionell und gleichzeitig dynamisch und flexibel, so dürft ihr auch weiterhin bleiben, das schätze ich sehr! Vielleicht tun sich noch mehr Felder für partizipative Forschung auf, das würde ich euch wünschen.

Vielen Dank allen Beteiligten für das spannende Interview und die abwechslungsreiche Zusammenarbeit!

Das Konzept ist auf Anfrage beim Kanton St. Gallen, Amt für Soziales, Abteilung Behinderung erhältlich. Melden Sie sich unter: behinderung.diafso@sg.ch.