Qualitätsmanual für die Spitex Schweiz

Mit der und für die Spitex Schweiz haben wir das bestehende Manual zum betrieblichen Qualitätsmanagement der Spitex-Organisationen umfassend überarbeitet. Ruth Hagen (Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Grundlagen und Entwicklung, Spitex Schweiz) und Ursula Fringer (Mitglied der Geschäftsleitung, socialdesign) lassen die Umsetzung dieses komplexen Vorhabens im Interview Revue passieren: Sie erzählen von der Herausforderung, ein Regelwerk zu konzipieren, das den hohen Qualitätsanforderungen im Pflegebereich entspricht und sich gleichzeitig auf die Realität unterschiedlichster Spitex-Organisationen anwenden lässt. Und von der engen Zusammenarbeit im Projekt, die sich als Erfolgsrezept erwiesen hat.

v.l.n.r.: Ruth Hagen, Ursula Fringer

Was hat Sie zu der umfassenden Überarbeitung des bestehenden Qualitätsmanuals bewegt?

Ruth Hagen: Die Spitex-Organisationen haben wiederholt Bedarf nach einer Erneuerung des bestehenden Qualitätsmanuals geäussert. In einer Umfrage unter den Spitex-Kantonalverbänden akzentuierte sich der Bedarf nach einer grundlegenden Überarbeitung der bestehenden Qualitätsrichtlinien. Daher war für uns bereits seit einigen Jahren klar, dass wir die Überarbeitung des Qualitätsmanuals angehen wollen.

Sie haben sich entschieden mit socialdesign zusammenzuarbeiten – wie kam es zu dieser Zusammenarbeit und warum gerade socialdesign?

Ruth Hagen: Vor dem gemeinsamen Projekt war mir socialdesign ehrlich gesagt kein Begriff. Als ich im Internet nach möglichen Dienstleister:innen für die Begleitung des Projekts recherchierte, überzeugte mich vor allem die ausgewiesene Erfahrung von socialdesign im Bereich Qualitätsmanagement. Dieser positive Eindruck verstärkte sich im persönlichen Gespräch und vor allem auch durch das vorgeschlagene Projektvorgehen. Ausschlaggebend für den Entscheid für socialdesign war dabei die Kombination aus methodischer Projektbegleitung sowie inhaltlich-fachlicher Unterstützung, die das Projektteam aufgrund der eigenen Praxiserfahrung anbieten konnte. Das vorgeschlagene Projektvorgehen überzeugte somit nicht nur durch einen klar strukturierten Prozess, sondern vor allem auch durch eine hohe Umsetzungsorientierung und das Bestreben, die Bedürfnisse und Rahmenbedingungen der unterschiedlichen Spitex-Organisationen bestmöglich zu berücksichtigen.

Ursula Fringer: Als wir die spannende Anfrage der Spitex-Schweiz erhielten, war für uns schnell klar, dass wir nicht nur eine reine Prozessbegleitung anbieten, sondern uns vor allem auch inhaltlich beteiligen wollen. Wir sind überzeugt davon, dass gerade in Projekten von solch hoher Relevanz und Komplexität eine enge Zusammenarbeit mit der auftraggebenden Organisation und die Einbindung der wichtigsten Anspruchsgruppen zentrale Erfolgsfaktoren sind. Wir schlugen daher vor, eine Begleitgruppe bestehend aus Vertreter:innen möglichst unterschiedlicher Spitex-Organisationen (z.B. bzgl. Organisationsgrösse, Region) zu bilden, die im Rahmen von vier Workshops in die Erarbeitung des Qualitätsmanuals einbezogen werden sollten. Für uns war es sicher ein Vorteil, dass wir das Projektteam so zusammensetzen konnten, dass mit Regula Ruflin und mir zwei Expertinnen in den Bereichen Qualitätsmanagement und Pflege vertreten waren und wir dadurch mit den Begrifflichkeiten der Spitex bereits vertraut waren.

Aufbau und Grundlogik des überarbeiteten Qualitätsmanuals sind an EFQM 2020 angelehnt. Weshalb gerade EFQM 2020?

Ursula Fringer: Die Basis für das Qualitätsmanual wurde durch ein kleines Projektteam im Rahmen einer Vorphase erarbeitet. In dieser Phase haben wir uns intensiv mit bestehenden Qualitätsmanagement-Modellen auseinandergesetzt. Das Ziel lag nicht darin, ein Modell vollständig zu übernehmen, sondern eine Grundlogik zu finden, die möglichst gut auf die Besonderheiten der Spitex adaptierbar ist. EFQM 2020 hat uns diesbezüglich inhaltlich am meisten überzeugt.

Ruth Hagen: Ausschlaggebend für den Entscheid für EFQM 2020 war dabei vor allem, dass sich die Struktur von EFQM 2020 an früheren Modellen anlehnt, jedoch weniger statisch als diese ist. Dank der flexiblen Strukturen liess sich EFQM 2020 ideal an unseren Bedürfnissen ausrichten und gewährleistet somit, dass sich die unterschiedlichen Spitex-Organisationen im Modell wiederfinden.

Warum und wie kann das neue Qualitätsmanual die Dienstleistungen der Spitex für die Klient:innen qualitativ verbessern?

Ruth Hagen: Das Manual setzt bei der Betriebsführung an und behandelt weniger die einzelnen Pflegedienstleistungen, sondern vielmehr die Prozesse rund um diese Dienstleistungen. Somit zeigt es auf, wie die notwendigen Voraussetzungen für die optimale Erbringung der Pflegedienstleistungen geschaffen werden können. Beispielsweise durch eine gute Betriebs- und Personalführung, durch adäquate Qualifikationen der Mitarbeiter:innen oder indem klare Standards in Bezug auf Hygiene und Dokumentation geschaffen werden. Das Zusammenspiel und die Gesamtheit sämtlicher Aspekte des Qualitätsregelwerks tragen dazu bei, dass die Klient:innen der Spitex-Organisationen optimal betreut sind.

Ursula Fringer: Der Mehrwert des Qualitätsmanuals resultiert vor allem aus seiner Ganzheitlichkeit. So gibt das Qualitätsmanual nicht nur Standards bezüglich der pflegerischen Dienstleistungen vor, sondern deckt die gesamte Palette an betriebsbeeinflussenden Faktoren ab. Somit vermag das Qualitätsmanual auch die Weiterentwicklung der Spitex-Organisationen zu fördern. Dies beispielsweise, indem es aufzeigt, was bei der Aushandlung von Leistungsverträgen oder bei allfälligen Zusammenschlüssen von Spitex-Organisationen zu berücksichtigen ist. Stimmen die betrieblichen Aspekte, kommt dies schlussendlich immer den Klient:innen zugute.

Ruth Hagen: Dass das Qualitätsmanual die Realität der Spitex-Organisationen so ganzheitlich abzudecken vermag, ist massgeblich darauf zurückzuführen, dass bei der Erarbeitung Fachleute aus der Praxis involviert waren. So konnten wir die richtige Flughöhe finden, damit das Manual von den sehr unterschiedlichen Organisationen verstanden und somit im Arbeitsalltag auch angewendet werden kann.

Was sind aus Ihrer Sicht die grössten Herausforderungen und Chancen in der Anwendung von solch übergeordneten Qualitätsrichtlinien?

Ruth Hagen: Eine grosse Herausforderung besteht darin, dass wir dieses Regelwerk zur Verfügung stellen, die Organisationen aber nicht verpflichten können, die Qualitätsrichtlinien auch umzusetzen. In einigen Kantonen bildet die Orientierung am Qualitätsmanual die Voraussetzung für den Abschluss eines Leistungsvertrages. In anderen Kantonen sind die Spitex-Organisationen jedoch frei in der Umsetzung und Gewichtung der Qualitätsrichtlinien. Gerade für kleine Spitex-Organisationen können übergeordnete Qualitätsrichtlinien eine Entlastung darstellen. Da die Definition eines eigenen Qualitätsmanuals sehr aufwändig ist, stehen ihnen so die notwendigen Grundlagen zur Verfügung, um relevante Qualitätsstandards zu erfüllen und dies auch auszuweisen.

Was raten Sie einer Spitex Organisation, die sich nun an die Umsetzung macht?

Ruth Hagen: Grundsätzlich müssen alle Spitex-Organisationen diese Mindeststandards erfüllen. Es ist in der Umsetzung jedoch ratsam, sich auf einzelne Bereiche aus dem Qualitätsmanual zu fokussieren und Prioritäten zu setzen. Ein wichtiges Hilfsmittel für die Umsetzung der Standards stellt das Selbstbeurteilungsraster dar. Anhand des Rasters können die Spitex-Organisationen eruieren, welche Standards sie bereits erfüllen und in welchen Bereichen Entwicklungsbedarf besteht. Mit diesen Erkenntnissen kann die Umsetzung der Standards priorisiert und konkrete Massnahmen zur Erreichung der Standards definiert werden. Dies ist gerade auch für kleinere Organisationen ohne eigenes Qualitätsmanagement eine wertvolle Dienstleistung, um Handlungsbedarf zu erkennen und gezielt anzugehen.

Was wünschen Sie sich hinsichtlich der Umsetzung des Qualitätsmanuals?

Ruth Hagen: Wir erhoffen uns mit dem Manual den Austausch zu Qualitätsthemen zwischen den einzelnen Spitex-Organisation zu fördern. Das Qualitätsmanual soll die bestehenden Austauschgefässe zum Thema Qualität ergänzen und das Bewusstsein für das Thema insgesamt schärfen. In diesem Rahmen organisieren wir nächsten Frühling beispielsweise eine Fachtagung zum Thema Qualität. So bieten wir den Spitex-Organisationen eine Austauschplattform für ihre Erkenntnisse und Erfahrungen im Hinblick auf das Qualitätsmanagement und ermöglichen ihnen, voneinander zu lernen.

Vielen Dank euch beiden für das inspirierende Gespräch!