City Card Bern: Urban Citizenship wird konkret

Das Konzept der Urban Citizenship gewinnt durch den verstärkten Fokus auf die Lebensrealität von Sans Papiers international an Bedeutung. Sogenannte City Cards, welche allen Bewohner:innen einer Stadt, unabhängig von deren Herkunft, Geschlecht oder Aufenthaltsstaus, ausgestellt werden, sollen den Behördenkontakt erleichtern und einen niederschwelligen Zugang zu städtischen Angeboten für alle ermöglichen. Auch die Stadt Bern plant die Einführung einer City Card. Wir haben das damit verbundene Umsetzungskonzept im Auftrag der Stadt Bern erarbeitet, das Ende 2023 vom Gemeinderat genehmigt wurde. Wir nehmen dies zum Anlass, das Thema urban citizenship einzuordnen und die Umsetzung der City Card Bern mit ihren Chancen und Herausforderungen zu beleuchten.

City Cards im Aufwind

Es scheint sich in der Schweiz seit einigen Jahren zunehmend ein Bewusstsein für die Problematik sozialer Rechte und Zugehörigkeit von Menschen ohne gültige Ausweispapiere zu etablieren. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass immer mehr Schweizer Städte Projekte für City Cards verfolgen. Zu nennen sind neben Bern beispielsweise Zürich, Lausanne, Genf, Biel oder La Chaux-de-Fonds. International gibt es eine ganze Reihe von Städten, welche bereits über das Instrument der City Card oder vergleichbare Modelle verfügen (z.B. New York, Barcelona, Utrecht, Paris). Das Konzept der urban citizenship kann als das theoretische Fundament dieser stadtpolitischen Bestrebungen verstanden werden. Das traditionelle und nach wie vor dominierende Verständnis von citizenship (Bürger:innenschaft) setzt den Fokus auf den rechtlichen Status einer Person. Dieser wird primär aus der territorialen Logik des Nationalstaats abgeleitet und ist ausschlaggebend für den Zugang zu staatlichen Leistungen. Der Diskurs um urban citizenship verschiebt diesen Fokus hin zum Lokalen. Er versucht, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass gerade für Migrant:innen und Sans Papiers das alltägliche Leben stark vom lokalen Kontext geprägt ist und sich im Rahmen dessen auch eine Verankerung und Zugehörigkeit entwickelt. Urban citizenship ist insofern eine Bürger:innenschaft, die an den Wohnort geknüpft ist bzw. durch diesen begründet wird (grounded citizenship), statt an die Staatszugehörigkeit oder den Aufenthaltsstatus (bounded citizenship). Die City Card dient hierbei als Instrument, die grounded citizenship zu formalisieren. Je nach konkreter Umsetzung ermöglicht diese auf folgenden Ebenen eine Besserstellung von Migrant:innen und Sans Papiers:

  • Formal-juristischer Status
  • Soziale und politische Rechte
  • Partizipation/Teilhabe
  • Zugehörigkeit und solidarische Praxis (affektive Dimension)

Vielfältige Potenziale

Im Rahmen des Berner Projekts wird versucht, die vielfältigen Potenziale einer City Card möglichst umfassend zur Entfaltung zu bringen. Die politischen Verantwortlichen weisen denn auch darauf hin, dass sich der Nutzen der City Card Bern nicht auf vulnerable Gruppen beschränkt, sondern ebenso der breiten Bevölkerung zugutekommt. Dies lässt sich an künftigen Anwendungsbereichen, wie der digitalen Partizipation, der Behördenkommunikation oder der Verknüpfung mit Sport- oder Mobilitätsabonnementen festmachen, die für alle Stadtberner:innen mit Vorteilen verbunden wären. Die City Card Bern ist modular erweiterbar. Somit kann ihr Potenzial laufend erweitert bzw. adaptiert werden. Dies ist wichtig, da sie eng mit den Digitalisierungsvorhaben der Stadt verknüpft ist und mit der Systemarchitektur des neuen Portals der Stadt Bern abgestimmt werden muss. Auch wenn es sich bei der City Card Bern um eine primär digitale Lösung handelt, ist es aus Gründen der Inklusion wichtig, dass auch eine physische Variante zur Verfügung steht.

Komplexe Umsetzung

Die Erarbeitung des Umsetzungskonzepts, welche wir in Abstimmung mit weiteren Partner:innen verantwortet haben, zeigte auf, dass die Frage der Zugänglichkeit und der Nutzungsmodalitäten komplex und von vielen Kontextfaktoren abhängig ist. Um das im Konzept der urban citizenship angelegte Potenzial ausschöpfen zu können, gilt es, diverse Herausforderungen technischer, administrativer und juristischer Natur zu überwinden. Das Umsetzungskonzept legt hierzu eine gute Basis, indem es Möglichkeiten und Lösungswege aufzeigt. Zugleich legt es Limitationen der City Card offen, auf welche im Rahmen der Projektumsetzung kaum Einfluss genommen werden kann. Beispielsweise gibt es in Bern – im Gegensatz zum Zürcher Modell – keine Stadtpolizei. Die Kantonspolizei kann jedoch von der Stadt nicht verpflichtet werden, die City Card als Ausweisdokument anzuerkennen, wodurch das formal-juristische Potenzial in der Umsetzung eingeschränkt wird.

Insgesamt sind aber die meisten Hürden überwindbar und das vielfältige Potenzial der City Card Bern unbestritten. Insofern ist es erfreulich, dass der Gemeinderat das Umsetzungskonzept nun gutgeheissen und auf Basis dessen die Aufträge für die entsprechenden Vorbereitungsaufgaben erteilt hat. So beispielsweise die Erarbeitung einer Rechtsgrundlage. Die urban citizenship in Form der City Card Bern wird allmählich greifbar. Etwas Geduld braucht es aber noch. Der Gemeinderat rechnet mit einer Einführung in rund fünf Jahren.

Quellen

  • Bosniak, Linda (2006). The Citizen and the Alien. Dilemmas of Contemporary Membership. Princeton University Press.
  • Büchler, Alexandra und Weber, Florian (2020). Vorstudie City Card Bern. Grundlagen für die Realisierung einer City Card Bern. Kapitel Rechtsgrundlagen.
  • Digitalstrategie Stadt Bern 2021.
  • Schilliger, Sarah et al. (2020). Vorstudie City Card Bern. Grundlagen für die Realisierung einer City Card Bern.
  • Rebsamen, Susanne (2019). Urban Citizenship und City Card. Dokumentation zur «Aus-tauschsitzung Migration».